Artikel von Oliver Pfahlmann, Bamberg 15.12.1997

Schlafende Wölfe

Goldregen. Hellgelbe und -grüne Farbexplosionen. Funkengestöber. Ein Gestöber zur Linken, eines zur Rechten. Und dazwischen, in einem Vitrinenschrank, Haare über Haare. Kein schöner Anblick, wohl aber ein... aufregender. Der ungute Erinnerungen weckt.

Wahrlich haarige Angelegenheiten, die da in der Bamberger Stadtgalerie Villa Dessauer von der in Wunsiedel geborenen Zeichnerin, Malerin, Plastikerin und Sängerin Regine von Chossy zu sehen sind. Nicht unbedingt etwas für Zartbesaitete; eher etwas für die stillen Genießer des Abseitigen, die sich gegenseitig ihre Gänsehaut und aufgestellten Nackenhaare triumphierend präsentieren.

Besitzergreifende Werke
1995 war man in Bamberg auf die preisgekrönte Künstlerin aufmerksam geworden, als diese im Schloß Weißenstein in Pommersfelden ausstellte. Die Dessauervilla, Relikt des Großbürgertums, ist wie geschaffen für von Chossys faszinierende Werke. Die von der Villa wie im Sprichwort „mit Haut und Haaren“ Besitz ergreifen. Über den Fenstern hängen Hörner, an den Wänden „Vibrationsfelder“ und „Teufelsschwänze“, auf dem Boden liegen gespinstartige Haarteppiche („Salve Fibonacci“) und bizarre Gebilde aus Stahlwolle. Auf dem Klavier steht ein „Krater“, ein widerlich-schwarzer Kubus aus filzigem Menschenhaar und Wachs mit einer symbolträchtigen Öffnung.

Und dann die „Rüßler“ – ein bis zwei Meter hohe Gebilde, Baumstämmen, Zigarillos oder Phalli ähnelnd, die dunkel-verkohlt und bedrohlich dastehen. Der Betrachter kann sich zwischen sie stellen, kann die unheimlichen Dinger aus der Nähe besichtigen. Ihre Köpfe sind verschieden: einer scheint moosartig bewachsen, andere tragen senkrecht stehende, pinselartige Borsten. Aus einigen starren igelartig Nägel. Die möglichen Assoziationen reichen von mittelalterlichen Folterinstrumenten und ordinären Haushaltspinseln über Philosophen auf ihrer Suche nach der Letztbegründung bis zu Clive Barkers „Hellraiser“ und den Sexspielzeugen diverser Kataloge, deren Sinn und Zweck ja meist ähnlich rätselhaft bleibt.
Womit wir wieder bei der Großbürgervilla wären und dem Titel der Ausstellung, „Schlafende Wölfe“: Jeder trägt einen solchen in sich, sagt Regine von Chossy, „und jeder muß für sich überlegen, wie er mit diesen schlafenden Wölfen umgeht. Soll er sie wecken, läßt er sie lieber schlafen oder dressiert er sie?“

Stimmliche Energie eingebracht
Das Großbürgertum der Jahrhunderwende hat sich bemüht, seine Wölfe zu vergessen. Doch kann das Unbewußte bekanntlich bestenfalls verdrängt werden. Sollten Regine von Chossys Bilder und Objekte also sichtbarer Ausdruck für das sein, was Freud die „Wiederkehr des Verdrängten“ nannte?
Von Chossys synästhetische Arbeitsweise würde dazu passen: Die in der alten Belcanto-Stimmtechnik ausgebildete Künstlerin singt beim Malen, und die Energie ihrer Stimme, ihr An- und Abschwellen, das Hecheln, Abbrechen und Neuansetzen, manifestiert sich in den „Vibrationsbildern“ ebenso wie in den in Öl-Lasur und Mischtechnik gemalten Bildern „Lichttänzer“, „Blitz“ oder „Feuertanz“.

Provokation im eigenen Museum
Regine von Chossy scheint eine Frau zu sein, die ihre Wölfe weckt. Es geht ihr weniger ums Schockieren, wohl aber ums Provozieren. In ihrem 1977 gegründeten Haarmuseum sammelt sie, was Freunde und Bewunderer ihrer Kunst ihr, in Tütchen oder Schachteln verpackt, an Präsenten schicken. Zwei Vitrinen präsentieren Highlights: mit Liebe geopferte Haare, Haarsträhnen, Haarbüschel, Haarzöpfe. Dunkle, blonde, graue. Kopfhaare, Beinhaare, Schamhaare. Mit freundlichen Grüßen.
Zufall ist es nicht, daß der Bamberger Kognitionspsychologe Dietrich Dörner seine Theorie des ästhetischen Empfindens an der Kunst Regine von Chossys exemplifiziert: „Rätselhaft“ und „unbestimmt“ sind die Objekte, und ja, auch „heiter“ – wenn man sich ertappt, welch Assoziationen die Werke in einem auslösen, kann man schon mal in lautes Lachen ausbrechen.
Andere werden vielleicht rot anlaufen.