Curt Heigl im Gespräch mit Regine von Chossy

Schlafende Wölfe

Ein Gespräch anlässlich der Ausstellung "Schlafende Wölfe" in der Städtischen Galerie Bamberg, Villa Dessauer.
Erschienen im Ausstellungskatalog , 1997.


Regine, Sie sind Zeichnerin, Malerin, Plastikerin und, ich glaube, ich darf auch sagen, Sängerin, was ist lhnen das wichtigste?

Was ich mir in der einen Sparte erarbeite, bringt mich in der anderen weiter. Entscheidend ist, dass ich das zentrale Thema mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln einkreise.

Womit hat es angefangen?

Bei meinem Professor an der Kunstakademie, dem Bildhauer Robert Jakobsen habe ich mich mit klassischer Öl-Lasur-Malerei beworben. lch schmiedete dann Eisenskulpturen. Das erst so widerspenstige Material, das rotglühend weich und schmiegsam wird, faszinierte mich. Einmal geschah es, dass eine Skulptur zu tönen begann, geheimnisvolle, sphärenhafte Töne. Das waren Stacheln auf einem Eisen-Ei, da wusste ich, dass auch dies dazugehört. Zur gleichen Zeit begann ich, mit Menschenhaaren zu arbeiten, ein für mich schon immer geheimnisvolles, wenn auch sehr ambivalentes Material. In der Schmiede entdeckte ich auch die Stahlspäne als Gestaltungsmaterial, als eine sublimiertere Komponente zu den Haaren. Diese Materialien vereinigen in idealer Weise graphische, malerische, haptische und skulpturale Komponenten. Als mir im extrem kalten Winter 1984 bei 4 Grad Raumtemperatur im städtischen Atelier die Kreide aus den erstarrten Fingern fiel, entdeckte ich nicht nur, dass Singen wärmt, sondern dass man mit der Stimme auch zeichnen kann, wenn der Ton wie eine auf und absteigende Linie im Raum schwebt.

Da haben Sie eigentlich schon alle Sparten beisammen, mit denen Sie, wie Sie sagten, Ihr zentrales Thema einkreisen. Wie lautet das Thema?

Alle Dinge wollen einen Namen, auch wenn Worte immer haarscharf daneben treffen. Mein Thema ist die "Energie" in ihrer eigentlichen, aus dem Griechischen stammenden Bedeutung als "Wirklichkeit" und "Wirksamkeit". Leitmotiv ist Wilhelm Ostwalds Aussage: "Energetik: Die Energie ist die Grundlage allen Geschehens. Der energetische Imperativ: Vergeude keine Energie, verwerte sie."

Sie haben daraus Ihr eigenes Energiekonzept entwickelt.

Schlagwortartig könnte man das so zusammenfassen: Die Verbindung von Energie-Impulsen zu ihr eigenen Formen: In den Skulpturen ist die Energie im Material gefangen, die Zeichnungen sind die Energiespuren auf dem Papier, die Stimme als von der Materialität befreite Tonzeichnung im Raum.

Um letzteres umzusetzen, haben Sie auch Stimmbildung gemacht.

Ja, mit meiner Naturstimme war ich nicht in der Lage, die Vibrationen so zu singen, wie ich es mir vorstellte. Ich hatte das Glück, die alte Belcanto-Stimmtechnik lernen zu können.

Ich kenne Ihre Arbeit schon lange, Ihre frühen Zeichnungen waren hauptsächlich schwarz-weiß. Wann kam die Farbe dazu?

Das Schwarz-Weiß war für mich - ich hatte ja vorher fast altmeisterlich gemalt - wie eine Reinigung. Ich wollte ganz neu anfangen zu sehen. Schwarz ist reine Energie.

Das bekannte schwarze Quadrat.

Ja, das war auch so ein Sich-Zurückziehen auf den Nullpunkt für einen neuen Start. Es entstanden dann die Vibrationsfelder. Die Stimme als Leitstrahl für den Ton, der als Energiespur auf dem Blatt blieb. Dann kam es mir jedoch so vor, als stände ich vor einem opulenten Buffet und sagte: Nein danke, ich esse nur Knäckebrot.

Wobei Schwarz-Weiß schon ein bisschen mehr sein kann als Knäckebrot.


Sicher, man könnte, auch ein ganzes Leben damit füllen. Aber ich wollte wieder die gefühlvolle und phantasievolle Komponente der Farbe, die Farbräume. Ich begann ganz vorsichtig mit kleinen rotbraunen Impuls-Sprenkein.

An Ihren späteren Arbeiten sieht man ja, wie wichtig Farbe für Sie geworden ist.

Die meisten meiner jetzt fertiggestellten Bilder hatte ich 1989 begonnen und zwar in reinem Schwarz-Weiß, dann kam Lasurschicht über Lasurschicht dazu. Das ist für mich ähnlich wie ein Mensch, der mit zunehmendem Alter immer vielschichtiger wird, wobei Blau für Vergeistigung steht, Gelb für Licht. Rot für Leidenschaft, insofern hat die Farbe auch Symbolcharakter.

Ihre Ausstellung in der Villa Dessauer in Bamberg hat den Titel Schlafende Wölfe, darunter kann man natürlich verschiedenes verstehen.

Es soll kein didaktischer oder tiefenpsychologischer Titel sein. Meine Idee ist, daß jeder seine schlafenden Wölfe in sich hat und jeder muß für sich überlegen, wie er mit diesen schlafenden Wölfen umgeht. Soll er sie wecken, läßt er sie lieber schlafen oder dressiert er sie? Diese Ausstellung soll das ganze Spektrum zeigen: Von den Teufelsschwänzen bis zur himmlischen Glückseeligkeit, und dazu eignet sich die Villa ja sehr gut, weil sie verschiedene Räume hat: Das Untergeschoß eher unterweltlich, mehr himmlisch im Obergeschoß.

Wir glauben ja, dass die Hölle unten und der Himmel oben ist.

Obwohl man in der heutigen Zeit nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Aber Bilder sind gut für Dinge, die man nicht logisch definieren kann und die schlafenden Wölfe sind solch ein Bild.

Gibt es denn Leute, die wegen der Haare, die ja ein sehr unheimliches Relikt der Menschen sind, in Ihren Bildern und Objekten Bezüge zum KZ herstellen?

Die KZ-Assoziazion ist immer präsent, obwohl es keine Absicht von mir ist, weil ich überzeitlich arbeiten will, und natürlich haben die Haare diese Ambivalenz in sich. Es gibt auch Mythen mit den abgeschnittenen Haaren, wie Samson, der seine Kraft verliert; Haare sind auch etwas sehr erotisches, etwas sehr persönliches. Andererseits dadurch, daß ich das Haar zu einer Kunstform verarbeite, entfernt es sich von den zeitgeschichtlich gebundenen Dingen.

Was bedeutet denn Kunst für Sie persönlich.

Bei mir taucht bei dieser Frage das Bild des unendich langen Pendels auf, das mit gewaltiger Wucht von einem extremen Wendepunkt zum anderen schwingt, und dieser Moment, bevor das Pendel sich wieder wendet, dieses Atemanhalten, Ende-Anfang, dieser zeitlose Moment, das ist für mich der Moment der Kunst. Je weiter es ins Dunkle schwingt, desto weiter hat es auch die Fähigkeit, ins Himmlische zu schwingen. Wo das Pendel aufgehängt ist, das können wir nicht erkennen, aber es ist die Spitze des Dreiecks und eigentlich auch der Ursprung der Kunst.